Street Art-Karrieren – Buchbesprechung

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Street Art-Karrieren
Neue Wege in den Kunst- und Designmarkt

Wer bei Amazon „Street Art“ unter der Artikelgruppe Bücher eingibt, bekommt als Ergebnis auf der ersten Seite ca. 3 Bücher, die sich auf wissenschaftlicher Basis mit dem Thema auseinandersetzen. Die Mehrzahl der angebotenen Produkte besteht aus fotolastigen Bänden, manchmal mit Städte- oder technikspezifischen Schwerpunkt, bei denen schon am Buchdeckel abgelesen werden kann, was drinnen steckt: Die modernisierte Wiederholung des Immergleichen. Einzelne künstlerische Werke zeichnen sich durch Popularität aus, erscheinen zeitlos und stets aktuell und werden dennoch ständig als neu präsentiert.

Erst auf der zweiten Seite der amazon-Suche findet findet man die neuste Publikation aus dem Transkriptverlag: „Street Art-Karrieren Neue Wege in den Kunst- und Designmarkt“ der Autorin Heike Derwanz.

Derwanz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hafencity Universität Hamburg und Herausgeberin weiterer Werke im kulturwissenschaftlichen Bereich.

Die Publikation ist das Ergebnis ihrer mehrjährigen Arbeit im Kunst-, Wirtschafts- und Stadtethnologischen Bereich. Inhaltlich bewegt sich Derwanzs Veröffentlichung rund um Karrieremöglichkeiten im Bereich Kunst und Design für Streetartkünstler_innen. Durch ihre detaillierte Fachkenntnis, die sie mit passenden Beispielen untermauert, lohnt sich eine Beschäftigung mit dem Buch für alle, die sich im Kosmos Street Art bewegen. Derwanz liefert eine umfassende Bestandsaufnahme der wichtigsten Diskurse zum Thema Street Art des letzten Jahrzehnts ab (u.a. zu Themen wie Verwertungsrechten, Relevanz des Internets, Begriffsbestimmung „Street Art“) . Sie bietet damit das Werkzeug, um sich selbst zu verorten und das eigene Handeln zu reflektieren.

Gründliche Recherche und umfassende Szenekenntnis ziehen sich durch alle Kapitel. Durch ihre nüchternen Analysen lässt sie Freiraum für weitere, eigene Interpretation. Immer wieder gibt es in Fußnoten wichtige Hinweise für eine breitere inhaltliche Auseinandersetzung zu den jeweiligen Schwerpunkten.

Unschlagbar ist die Arbeit dort, wo die Autorin in ihrer sachbetonten Auseinandersetzung nicht scheut Dinge beim Namen zu nennen.

Am deutlichsten wird dies zu Beginn der Arbeit, wenn sie das Werk von Shepard Fairey, Bansky und Jens Besser analysiert. Statt in die Falle der moralischen „Sell-Out“ Debatte zu tappen, bietet sie eine nüchterne Bestandsaufnahme.

Shepard Fairey habe die Obey-Kampagne von einem „konzeptuellem Experiment viraler Kommunikation“ zu einer „Firma, die professionell mit KundInnen und KäuferInnen umgeht.“ weiterentwickelt. Wichtig dabei sei ein „festes Image, eine feste Standarderzählung“ die eigene Authentizität betreffend. Inszeniert wird dieses Profil durch Schlagworte wie Punk-Rock und Skateboarding oder dem Verweis auf Verhaftungen während der künstlerischen Arbeit. Shepard Faireys „Mythos besteht demnach darin, immer weiter zu machen und sich nicht durch die Justiz stoppen zu lassen: weder durch seine Verantwortung als Vater noch durch seinen Erfolg am Kunstmarkt.“

Am Beispiel Banksys verdeutlicht sie, wie Street Art am Kunstmarkt als „Authentizitätsreserve“ funktioniert. Dies führe bei Banksy so weit, dass seine Anerkennung am Kunstmarkt sogar die Illegalität seines Vorgehens übertrumpfe. Banksy habe sich seine Anonymität als Markenimage geschaffen, dass ihm Anteile am Betriebskunstsystem sichere. So lange der Mythos unenttarnt bleibt, sei sein Verkauf gewährleistet. Bei Ausstellungen setze er immer wieder auf den Eventcharakter: Ausstellungsorte würden kurzfristig bekannt gegeben und die Ausstellungsdauer reduziert, um den Wert der Einmaligkeit zu erhöhen. Als „Outsider“ habe er immer wieder das Betriebssystem Kunst kritisiert, dessen Teil er nun selbst geworden sei. Zudem lässt sie ihn selbst zu Wort kommen und dokumentiert damit seine moraline Kritik moderner Kunst, die er als „overprivileged pretentious and weak“ bezeichnet und sich damit vom durchschnittlichen Grantler im Bahnhofspark wohl kaum unterscheiden dürfte.

Jens Besser kommt in seinem Kapitel deutlich sympathischer rüber.

Das ist Buch nicht nur für akademischen Kontext geschrieben, sondern richtet sich explizit auch an die an Street Art interessierte Öffentlichkeit. Derwanz lässt in der Einleitung ihren persönlichen Zugang zum Thema einfließen und auch im weiteren verlauf der Arbeit ist die Leidenschaft, die sie mit Streetart verbindet, ihr immer wieder anzumerken. Dadurch kann sie sich auch die Aufmerksamkeit eines nicht akademischen Publikums sichern. Nüchtern wissenschaftliche Passagen werden immer wieder von Stellen abgelöst, die durch spannende Details den Unterhaltungswert deutlich anheben.

Die vielen Fakten und genannten Details werden zugleich zum Fallstrick für eine vermeintlich gemütliche Lektüre des Buches. Teile der Arbeit können eben doch nur im wissenschaftlichen Stil gelesen werden und erwarten auch ein gewisses Vorwissen im Bereich der Kulturwissenschaften, die Zitate englischer Literatur bedürfen zumindest Englisch-Grundkenntnisse.

Derwanz bietet mit ihrer Veröffentlichung ein umfassendes Nachschlagewerk. Wer nach 2013 eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema Streetart verfasst, wird nicht umhinkommen „Derwanz, Heike“ im Quellenverzeichnis aufzulisten.

Wer sich selbst zur oben erwähnten, an Street Art interessierte Öffentlichkeit zählt, sollte sich überlegen dieses Buch auf den Weihnachtswunschzettel zu schreiben, statt einem weiteren Streetartbilderbuch aus den meist geliketen Streetartfotos.

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